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Konditionierung, Beziehung oder was?

Heute wird es mal etwas wissenschaftlich. Dabei geht es um ein Thema, das mir deswegen sehr wichtig ist, weil einfach sehr viel Fehlinformation und Missverständnisse unterwegs sind, ganz besonders in den sozialen Netzwerken.

Diese Missverständnisse findet man bisher vor allem in der Hundewelt, sie scheinen jetzt aber auch langsam auf die Katzenwelt überzugreifen. Da hört man von Haltern, dass sie Clickertraining ablehnen, weil sie ihre Katzen „nicht konditonieren“ wollen. Oder es tauchen solche Schlagworte auf wie „Beziehung statt Erziehung“ oder „Kommunizieren statt Konditionieren“ und vermitteln den Eindruck Konditionierung wäre irgendwie was böses oder unnatürliches.
Dabei schließen sich solche Konzepte wie Beziehung und Kommunikation auf der einen Seite und Konditionierung auf der anderen Seite keineswegs aus. Ganz im Gegenteil, sie gehören sogar untrennbar zusammen.

Um das genauer zu beleuchten, machen wir heute mal einen etwas umfassenderen Ausflug in die Lerntheorie.

Biologisch ist Lernen definiert als die Veränderung von Verhalten aufgrund von Erfahrung. Da geht es also nicht um das Fakten auswendig lernen, dass man so aus der Schule kennt, sondern darum, dass ein Lebewesen sein Verhalten so anpasst, dass es damit möglichst gut überleben kann. Übrigens ist das Faktenlernen in der Schule schon auch durchaus Lernen im biologischen Sinn. Denn mein Verhalten ändert sich ja durch mein Wissen. Wenn nicht, dann ist das Wissen ziemlich nutzlos.

Biologisch gesehen sind außedem Lernen und Konditionierung im Grunde zwei Wort für denselben Vorgang. Oder etwas präziser: Wenn ein Lebewesen lernt, dann findet immer Konditionierung statt. Man könnte auch sagen, Konditionierung ist ein biologisches Grundgesetz, das immer wirkt. Genauso wie z.B. Schwerkraft ein physikalisches Grundgesetz ist, das immer gilt.

Konditionierung spaltet sich nochmal auf in die Klassische Kondtionierung und die Operante Konditionierung.
Klassische Konditionierung bedeutet im Grunde einfach, dass ein Lebewesen lernt, dass ein Ereignis ein anderes Ereignis ankündigt. Viele Katze kommen gerannt, sobald sich der Kühlschrank öffnet. Sie haben gelernt, dass das Geräusch der Kühlschranktür – zumindest manchmal – ankündigt, dass es jetzt was zu Fressen gibt. Hier wirkt die Klassische Konditionierung. Ohne, dass ihr da irgendwas bewusst mit eurer Katze trainiert habt. Übrigens werden auch auch Emotionen klassisch konditioniert. Weil sich eure Katze über ihr leckeres Futter freut, freut sie sich dann auch schon, wenn sie die Kühlschranktür hört. Das ist ein ganz wichtiger Punkt, denn hier treffen sich Konditionerung und Beziehung. Aber dazu kommen wir später noch.

Die Operante Konditionierung beschreibt, wie Lebewesen an den Konsequenzen ihres eigenen Verhaltens lernen. Sie besagt im Grunde schlicht, dass jedes Lebewesen Verhalten tendenziell mehr – das bedeutet öfter, schneller, länger – zeigen wird, wenn es erfahrungsgemäß angenehme Konsequenzen hat (Lerntheoretisch bezeichnet man das als Verstärkung). Und dass es Verhalten tendenziell weniger – seltener, zögerlicher, kürzer – zeigen wird, wenn es erfahrungsgemäß unangenehme Konsequenzen hat (Lerntheroretisch bezeichnet man das als Bestrafung oder Strafe. Das ist leider ein etwas ungünstiger Begriff, denn das hat recht wenig mit dem zu tun, was man umgangssprachlich unter Strafe versteht).
Wie das Lebewesen, also in unserem Fall die Katze, ursprünglich auf die Idee gekommen ist dieses Verhalten überhaupt mal zu zeigen und heauszufinden, welche Konsequenzen es hat, ist dazu völlig unerheblich. Es kann sein, dass es einfaches Ausprobieren war, oder Nachahmung oder vieleicht sogar Einsicht. Der Punkt ist, wenn es so funktioniert, wie gewollt, hat es sich gelohnt und es macht Sinn es das nächste Mal wieder zu versuchen. Wenn es schiefläuft, hat es sich nicht gelohnt, und je nachdem wie schimm es schiefgelaufen ist, probiert man es dann entweder lieber gar nicht mehr oder ist beim nächsten Versuch zumindest vorsichtiger. Übrigens funktioniert das bei uns Menschen ganz genau so.
Und noch ein wichtiger Punkt: Auch bei der operanten Konditonierung spielen (über den kleinen „Umweg“ der Klassichen Konditionerung) Emotionen eine entscheide Rolle. Verstärkungen führen zu Freude oder mindestes Erleichterung. (Lerntheoretische) Strafen führen zu Angst, Wut oder Enttäuschung. Und genau diese Emotionen sind es, die uns sagen lassen: „Das war toll! Nochmal!“ Oder: „Das war doof! Lieber nicht mehr.“

Dann gibt es auch noch die Habituation, die besagt, dass Reize, die sich als irrelevant erweisen, irgendwann einfach ignoriert oder sogar gar nicht mehr wahrgenomen werden. Das hängt damit zusammen, dass in jedem Moment viel mehr Reize auf unser Gehirn einprasseln, als es verarbeiten kann. Deswegen muss es relevante und irrelevanten Informationen vorsortieren. Fragt mal jemanden, der direkt an einer Bahnlinie wohnt, ob er die Züge noch hört. Aber das nur am Rande.

So, jetzt atmet erstmal durch, lasst die Informationen sacken und ich fasse euch das inzwischen alles nochmal in einem Satz zusammen: Konditionierung ist der Mechanismus bzw. das biologische Grundgesetz, das beschreibt wie Lernen funktioniert, und zwar bei allen Lebewesen auf diesem Planeten. Nicht mehr und nicht weniger.

Jetzt gehen wir noch einen Schritt weiter und schauen uns mal das sogenante ABC des Verhaltens an.
ABC steht für antecedents, behavior und consequences, also auf deutsch: Antezedenzien, Verhalten und Konsequenzen.
Antezedenzien könnte man vielleicht grob als Vorbedingungen umschreiben. Das ist alles, was dem Verhalten vorausgeht und irgendwie relevant ist. Das sind solche Dinge wie Gesundheitszustand, Stresslevel, frühere Lernerfahrungen, die gesamte aktuelle Umwelt mit Ablenkungen, Geräuschen, Gerüchen, aber auch die aktuelle Motivation, Bedürfnisse und Emotionen der Katze. Und auch erlernte Signale, die wir unseren Katzen geben.
Verhalten ist einfach das Verhalten, dass die Katze daraufhin zeigt.
Und Konsequenzen sind alles, das auf das Verhalten folgt und entweder angenehm (Verstärkung) oder Unangenehm (Strafe) ist. Dabei können auf ein Verhalten auch gleichzeitig ganz viele gegensätzliche Konsequenzen einwirken. Wenn eine Katze zum Beispiel auf einen Tisch springt und den Teller mit der Wurst runterwirft, dann erschrickt sie vor dem lauten Geräusch, wenn der Teller am Boden zerschellt (Strafe), aber sie kann die Wurst fressen (Verstärkung). Was schwerer wiegt, wird in so einem Fall ganz individuell vom Charakter der Katze und ihrer aktuellen Motivation abhängen. Womit wir bei einem weiteren wichtigen Punkt wären: Was ein Tier als Verstärkung oder Strafe wahrnimmt, ist immer individuell und situationsabhängig. Eine Katzen, die hungrig ist, ist hochmotiviert irgendwie an Futter zu kommen. Für eine Katze, die müde ist, ist Futter gerade möglicherweise eher zweitrangig. Sie ist in dem Moment mehr an einem bequemen, sicheren Schlafplatz interessiert.

Und wie passt da jetzt die Klassische und Operante Konditionierung rein?
Vielleicht konntet ihr es schon ein wenig rauslesen. Durch Konditionierung werden A, B und C miteinander verbunden. Genauer: Klassische Konditionierung verknüpft A und B, also die Antezedenzien mit dem Verhalten. Die Operante Konditionierung verknüpft B und C, also das Verhalten mit seinen Konsequenzen. Und wie ihr euch vielleicht vorstellen könnt, wird das ganze Gebilde in der Realität dann beliebig komplex, auch wenn die zugrunde liegenden Mechanismen eigentlich ganz einfach sind.

Das ist ja alles schön und gut, aber was hat das jetzt mit solchen Dingen wie Kommunikation und Beziehung oder Bindung zu tun?
Nun, Kommunikation bedeutet in Grunde, dass ein Signal zwischen zwei oder mehr Lebewesen irgendeine gemeinsame Bedeutung bekommt, so dass sie darüber Informationen austauschen können. Und diese Bedeutung muss gelernt werden.
Ein paar Beispiele:
Bevor ich meine Katze hochhebe, sage ich „Hoch“ damit sie sich darauf vorbereiten kann, dass gleich meine Hand unter ihren Bauch greift und nicht erschrickt. Durch das „Hoch“ kommuniziert ich gegenüber meiner Katze, was gleich passieren wird. Das ist gleichzeitig ein ganz typisches Bespiel für Klassische Konditionierung.
Wenn ich meiner Katze beibringe zu kommen, wenn ich sie rufe, dann kommunziere ich gegenüber meiner Katze: „Wenn du jetzt kommst, dann machen wir was Schönes zusammen“. Und wenn sie dann kommt, dann kuscheln wir, oder es gibt Futter, oder wir spielen zusammen oder oder oder. Für sie lohnt es sich also (Konsequenzen) zu kommen (Verhalten), wenn ich rufe (Antezendenzien). Wenn es sich für sich nicht lohnt oder sogar öfter was Doofes passiert, weil ich die Tür zumache und sie dann nicht mehr nach draußen kann, dann wird sie auf mein Rufen irgendwann auch nicht mehr kommen. Denn dann kommunziere ich ihr gegenüber mit meinem Rufen: „Wenn du jetzt kommst, wirst du eingesperrt.“ Und meine Katze denkt sich dann wahrscheinlich: „Ne, danke.“ In beiden Fällen wirkt also die Operante Konditionierung.
Das Ganze funktionert natürlich auch andersrum: Ich habe gelernt, wenn sich meine Katze vor mich setzt und leise maunzt, dann möchte sie mir damit sagen: „Ich möchte bitte Aufmerksamkeit.“ Und sie weiß, wenn sie sich vor mich setzt und maunzt, dann bekommt sie von mir Aufmerksamkeit. Oder ich kommuniziere zurück: „Ich habe jetzt leider gerade keine Zeit für dich.“ Welche lerntheoretischen Mechanismen da auf beiden Seiten wirken, könnt ihr euch jetzt gerne einfach mal selbst überlegen.

Und die berühmte Bindung? Bindung bedeutet im Grunde einfach, dass ich mich oft und gerne in der Nähe eines Sozialpartner aufhalte, weil ich viele schöne Erlebnisse mit diesem verbinde. Man könnte auch sagen, es macht mir Freude mich in seiner Nähe aufzuhalten. Wahrscheinlich fühle ich mich bei ihm auch sicher und vertraue ihm. Und wie erreiche ich das mit meiner Katze? Freude hatten wir doch oben schonmal. Genau, das ist die emotionale Reaktion auf Verstärkung, also positive Konsequenzen von Verhalten. Das bedeutet jedesmal, wenn ich z.B. beim Clickertraining Verhalten meiner Katze verstärke (Operante Konditionierung) oder einfach Dinge mit ihr tue, sie sie gerne mag, dann verknüpft sie mich und meine Anwesenheit mit diesen positiven Emotionen (Klassische Konditionierung). Und das stärkt unsere Bindung. Einfach so als Nebeneffekt. Und das richtig Tolle daran ist, wenn meine Katze eine gute Bindung zu mir hat, also einfach gerne mit mir zusammen ist, weil wir in der Vergangenheit bereit so viel schönes miteinander gemacht haben, dann wirkt meine Anwesenheit und meine Aufmerksamkeit in ganz vielen Situationen bereits als Verstärkung. Und dann kommt meine Katze vielleicht wirklich gerne, wenn ich sie rufe, einfach nur, weil sie dann bei mir sein darf. Auch das basiert dann auf den Mechanismen der Klassischen und Operanten Konditionierung.

Ihr seht also, Konditionierung ist nichts künstliches oder emotionsloses, sondern beschreibt einfach nur biologisch, wie Lernen funktioniert, mit all den individuellen Besonderheiten, Bedürfnissen und Emotionen, die ein Lebewesen wie eine Katze so mitbringt. Und wenn ihr diese Mechanismen kennt, dann könnt ihr sie nutzen um eure Katze beim Lernen zu unterstützen. Und ihr könnt sie genauso nutzen, um besser mit eurer Katze zu kommunizieren und die Beziehung zwischen euch und eurer Katze zu verbessern. Und wenn ihr sie nicht bewusst nutzt? Dann wirkt sie trotzdem, wie jedes andere Naturgesetz auch. Genau wie die Schwerkraft.

Ihr habt allgemeine Fragen zu Verhalten, Erziehung und Beschäftigung von Katzen? Oder wollt vielleicht sogar noch tiefer in die Lerntheorie, Verhaltensbiologie oder verwandte Gebiete eintauchen? Schreibt mir gerne eine E-Mail an blog@felipaws.de mit euren Themenwünschen.