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Dominante Katzen?

In letzter Zeit stelle ich aber immer wieder fest, dass Katzen gerne mal dominantes Verhalten unterstellt wird, vor allem dann, wenn sie sich regelmäßig aggressiv gegenüber ihrer Mitkatze verhalten.

Höchste Zeit mal einen genaueren Blick darauf zu werfen, was Dominanz eigentlich ist:

Grob kann man Dominanz definieren, als zeit-, orts- und situationsabhängige soziale und/oder ressourcenbezogene Freiheiten, die sich ein Individuum gegenüber einem anderes Individuum erlauben kann.*

Mein Lieblingsbeispiel, um das etwas besser zu verdeutlichen, kommt aus dem menschlichen Bereich. Mein Lieblingsbeispiel ist es vor allem deswegen, weil es sehr deutlich zeigt, dass Dominanz mit Druck, Aggression oder körperlicher Überlegenheit erstmal überhaupt nichts zu tun hat.

Stellt euch vor die Queen von England zeigt sich in der Öffentlichkeit. Hinter den Absperrungen drängen sich jubelnde, fähnchenschwingende Anhänger während die Queen die Straße hinabschreitet. Kommt die Queen jetzt spontan auf die Idee, über die Absperrung hinweg einen ihrer Anhänger herzlich zu umarmen, wird das vielleicht etwas Aufsehen erregen. Es wäre aber gesellschaftlich völlig akzeptabel und würde ihr wahrscheinlich sogar als besonders freundliche, volksnahe Geste angerechnet werden.
Sollte dagegen ein Zuschauer über die Absperrung hinweg versuchen die Queen zu umarmen, wäre das ein Skandal und der arme Mensch, so nett er es auch gemeint hat, würde vermutlich ziemlichen Ärger bekommen.

Grund für den Unterschied ist, dass die Queen schlicht und einfach soziale Freiheiten gegenüber ihren Mitmenschen hat, die diese ihr gegenüber nicht haben. Auch wenn die Wortwahl vielleicht etwas ungewohnt klingt: Biologisch gesehen, ist die Queen hier ihren Untertanen gegenüber dominant.

Wechseln wir die Szene: Die Queen ist auf Reisen und sitzt durch einen dummen Zwischenfall mit einigen Mitmenschen in der Wüste fest. Würde sie jetzt versuchen alle Wasservorräte für sich zu beanspruchen, würden das ihre Mitgestrandeten sicher nicht akzeptieren. Gibt es in der Gruppe aber einen bekannten Überlebenskünstler, könnte der wahrscheinlich die Wasservoräte an sich nehmen und die Verteilung organisieren, so dass alle bis zur Rettung sicher versorgt sind. Er punktet mit Erfahrung und erhält damit – biologisch gesehen – Dominanz über den Rest der Gruppe, sogar über die Queen.

Was heißt das jetzt allgemein für Dominanz:

  • Dominanz beschreibt keine Charaktereigenschaft, sondern immer nur eine Beziehung zwischen Individuen in einer bestimmten Situation.
  •  Dominanz funktioniert nur solange der Subordinate die sozialen Freiheiten des Dominanten anerkennt. Sie wird also immer von unten nach oben aufrechterhalten, nicht, wie man es allgemein gerne annimmt, von oben nach unten.
  •  Nur weil der dominante Part Vorrechte an Ressourcen und soziale Freiheiten hat, bedeutet das nicht, dass er sie immer ausnutzt. Ein am Futter dominantes Tier kann dem submissiven durchaus den Vortritt lassen, wenn es zum Beispiel gerade nicht sonderlich hungrig ist.
  • Dominanzbeziehungen kann es immer nur inneralb einer sozialen Gruppe geben, deren Mitglieder sich (mehr oder weniger) individuell kennen.
  • Dominanzstatus erhält man oft über Erfahrungen und besondere Fähigkeiten. Deswegen bringt sie neben mehr Freiheiten oft auch mehr Verantwortung für andere Gruppenmitglieder mit sich.
  • Dominanzbeziehungen findet man normalerweise nur innerartlich.
  • Jungtiere werden bei den Dominanzbeziehungen ausgeklammert. Sie haben zwar oft auch viele soziale Freiheiten, aber nicht, weil sie dominant sind, sondern weil sich die anderen Gruppenmitglieder ihnen gegenüber bei Regelverstößen nachsichtig zeigen. Schließlich lernen sie noch.

Jetzt wird hoffentlich auch langsam klar, dass Dominanz normalerweise nicht mit Aggression einhergeht. Ganz im Gegenteil: Der Sinn und Zweck von Dominanzbeziehungen ist es Aggression durch festgelegte Regeln zu vermeiden. 

Echte, stabile Dominanzbeziehungen führen zu einem entspannten, friedlichen Miteinander. Jedes Gruppenmitglied kennt die Regeln und seine eigene Stellung in der Gruppe und ist – ganz wichtig! – mit dieser Stellung auch einverstanden.

Kommen wir zu den Katzen zurück:

Katzen sind keine ausgesprochen sozialen Tiere. Deswegen neigen sie sie auch nicht zu besonders ausgeprägten Dominanzbeziehungen. Das heißt nicht, dass es zwischen Katzen keine Dominanzbeziehungen geben kann. Allerdings sind die meistens sehr situationsbezogen und, wenn sie funktionieren, oft so subtil, dass wir als Halter sie kaum wahrnehmen.

Meistens gilt bei Katzen aber sowieso die Regel: Wer zuerst da war, hat das Vorrecht, sei es am Futter, Schlafplatz oder der Benutzung eines Weges. Zeitabhängige Dominanz also, wenn man so will. Eigentlich ein sehr faires System.

Katzen, die ihre Mitkatze angreifen, mobben und unterdrücken, sind dagegen nicht dominant. Meistens sind sie einfach nur überfordert, unausgelastet, ungenügend sozialisiert, haben Angst, verteidigen Ressourcen oder können ihre Mitkatze schlicht nicht leiden und behandeln sie deswegen als Eindringling.

Ihr habt allgemeine Fragen zu Verhalten, Erziehung und Beschäftigung von Katzen? Schreibt mir gerne eine E-Mail an blog@felipaws.de mit euren Themenwünschen.

*Etwas genauer findet ihr das z.B. in Peter Kappeler: „Verhaltensbiologie“